Wie können pädagogische Fachkräfte in der Beziehung zu belasteten Familien mit ambivalenten Gefühlen umgehen?

Andrea Steinke (Juli 2019)

Inhalt: Eine besondere Herausforderung in der Zusammenarbeit mit belasteten Familien ist, Beziehungen so zu gestalten, dass positive Veränderungen nachhaltig und kontinuierlich möglich sind. Über ein erstes „In-Kontakt-Kommen“ hinaus geht es auch darum, Zugänge und Beziehungen zu erhalten und zu gestalten.

Zugänge finden

Im Bundesprogramm „Kita-Einstieg“ begegnen Fachkräfte sehr unterschiedlichen Familien. Einige sind offen, dankbar und kooperativ, andere haben große Zweifel und sind eher in einer Abwehrhaltung. Zugänge zu Familien zu finden, zu erhalten und zu gestalten ist eine der größten Herausforde-rungen in diesem Bundesprogramm und birgt Stolpersteine.
Wenn Pädagoginnen und Pädagogen Familien mit besonderen Schwierigkeiten begegnen, kann das aufgrund der unterschiedlichen Problemlagen große Sorgen und Ängste bei ihnen auslösen. Häufig geht es um die schwierige Gestaltung von Beziehungen zu Menschen, die widerstreitende Gefühle und vielfältige Erwartungen gegenüber den Fachkräften haben. Wenn Eltern zum Beispiel einerseits offensichtlich Unterstützung wollen und brauchen, diese andererseits aber nicht zulassen und große Ängste vor Veränderungen haben.1 Nicht alle pädagogischen Fachkräfte können alle Eltern immer erreichen. Sie können nur schauen, wie einladend sie sind und sein wollen. Selbst bei ausreichendem Bemühen sind persönliche Entscheidungen jeder einzelnen Familie zu akzeptieren, inwieweit sie sich auf die niedrigschwelligen Angebote und die Fachkräfte einlassen. (2)

Die innere Haltung der Fachkräfte, mit der Familien in den individuellen Lebenssituationen begegnet wird, ist hierbei ganz entscheidend. Wenn Druck, Ärger oder Stress bei Fachkräften überwiegen, dann werden Beziehungen nicht so gestaltet, dass Familien nachhaltig ausreichend Vertrauen entwickeln können.1
Gelingende Erstkontakte haben für Eltern oft den Charakter von Schlüsselerlebnissen.2 Dabei geht es grundlegend um ein wertschätzendes Klima der Zuwendung. Es geht um eine innere Einstellung, die mit Begriffen von Verbindlichkeit, Respekt und viel Fingerspitzengefühl beschrieben werden kann. (1)

Zugänge erhalten: Umgang mit Ambivalenzen

In der Praxis passiert es häufig, dass Eltern bei offenen und/oder verdeckten Konflikten den Kon-takt vermeiden, Termine ausfallen lassen, sich nicht an Vereinbartes halten, häufig Missverständ-nisse vorkommen – sich aber im Alltag zum Teil trotzdem anpassen. Fachkräfte sind dann oft zwi-schen Nähe- und Distanzgefühlen hin- und herge-rissen.
Häufig scheuen Pädagoginnen und Pädagogen Konflikte und reagieren primär auf die von den Eltern angebotene „Opferrolle“. Hilfe besteht dann ausschließlich aus Nähe. Die Ziele von Hilfe sind in diesem Sinne dann harmonische Beziehungen, verstehen, freundlich bleiben, alles geben und begleiten. Streit gehört nicht dazu. Dieses „Verstrickungsrisiko“ ist umso größer, je mehr die Fachkräfte mit den Eltern zu tun haben und je mehr sie sich Sorgen um das betroffene Kind machen. (1)

Klassische mitfühlende Nähe-Helferinnen und Helfer
– zeigen einen hohen Einsatz,
– vergeben Termine, auch wenn sie eigent-lich keine Zeit haben – machen es irgend-wie möglich,
– reden viel,
– verbringen viel Zeit mit den Eltern,
– und tun Dinge, die sie eigentlich nicht tun wollen. (1)

Wenn Fachkräfte klassische Distanzgefühle entwickeln, wie z. B. Wut und Ärger, dann aktiviert das häufig die Furcht vor Ablehnung der Familien bzw. der Kinder. Die Ängste, die „neuen“ Familien zu verlieren und die Sorge um die Kinder überwiegen jedoch. Distanzgefühle werden dann häufig als „unprofessionell“ angesehen und es besteht wenig Wissen darüber, wie Ärger, Wut und Hilflosigkeit in den pädagogischen Kontext einzuführen sind. Die Fachkräfte spalten dann automatisch die Distanz-gefühle ab, was sie selbst dennoch belastet und die Konflikte mit den Eltern zudem eher verschärft als sie zu lösen.
Der Umgang mit dem Spannungsfeld Nähe und Distanz, der Spagat zwischen Mitfühlen und Verstehen einerseits und Konfrontation und Grenzset-zung andererseits ist eine der größten Herausfor-derungen beim Erhalten und Gestalten von Bezie-hungen zu Familien.

„So können Beziehungen gelingen:

 – Empathisch sein und konfrontieren.
 – Mitgefühl haben und an Verantwortung erinnern.
 – Verstehen, was passiert ist und wie es da-zu kommt, (…) den Konflikt wagen.
 – Helfen und entlasten und NEIN sagen, wenn etwas nicht in Ordnung ist.“ (1)

Das ist eine Möglichkeit der Beziehungsgestaltung und kann unterstützen, die sich entwickelnden Beziehungen zu erhalten. Von der Illusion, dass Fachkräfte zu einer positiven Veränderung beitra-gen und sie helfen können, ohne den Konflikt zu wagen, sollte Abschied genommen werden. Mit-fühlende Konfrontation oder mitfühlende Ernsthaf-tigkeit beschreiben einen Teil dieser Haltung.

Zugänge gestalten: Kontakt im Konflikt

Für eine nachhaltige Beziehung zu den Familien ist es u. a. wichtig, die eigenen Aufträge, wie z. B. den Einstieg des Kindes in die frühkindliche Bildung offen und transparent zu kommunizieren und gleichzeitig die Aufträge, Wünsche und Bedürfnisse der Familien zu erfragen. Dabei ist entscheidend, dass die Fachkräfte Konflikte zulassen, ihre Gren-zen deutlich machen und nur die Verantwortung übernehmen, die ihnen zusteht und nicht darüber hinaus. Hilfreich könnte dann zum Beispiel sein, gemeinsame Wahrheiten und Ansätze mit den Eltern zu finden und externe Helferinnen und Helfer zu involvieren, um kontinuierlich Respekt und Vertrauen zu den Eltern aufzubauen. Dabei darf der Fokus auf die eigenen Emotionen der Fachkräfte nicht aus dem Blick geraten.

(1) Slüter, R. (2019). Belastete Elternschaft – Zugänge zu Familien finden, erhalten und gestalten. Manuskript zum Vortrag auf der GAIMH Fachtagung am 01.03.2019 in Hamburg, Zitat S. 9., http://kinderschutzbund-hamburg.de/wp-content/uploads/2019 /03/Vortrag-Ralf-Slüter-GAIMH-Fachtag-2019.pdf
(2) Schlösser, E. (2017). Zusammenarbeit mit Eltern – interkultu-rell. Aachen: Ökotopia

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